Zurück zu Argument 32

 

Helke Sander Februar 2006
Offener Brief an die Intendanten und Rundfunkräte von ARD und ZDF, sowie an
die Organisatoren gesellschaftlich relevanter Gruppen, die nicht in
Rundfunkräten vertreten sind. *) **)

Betrifft: Gebührenkürzung wegen zuviel Fussballweltmeisterschaft in den
Öffentlich-rechtlichen Anstalten

Oder kürzer:

Für die Trennung von Staat und Fussball

oder

Hören Sie auf, Ihre Vorlieben auch für die meinen zu halten.

(Wenn Sie sich in dieser Frage auf die hohen Einschaltquoten bei
Sportsendungen berufen, dann vergessen Sie bitte nicht, dass normalerweise
Frauen um des lieben Friedens Willen ihrerseits aufs Fernsehen verzichten.
Ausserdem hätten sie sowieso keine Chance etwas anderes zu sehen, weil am
Wochenende fast nur Fussball zu sehen ist).

Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich werde ab März 06 die Gebühren vorläufig um ein Fünftel kürzen, evtl.
nach späteren Rechtsauskünften auch mehr.
Gründe:
Ich fühle mich durch die Anstalten zunehmend schlecht informiert,
Ich will den Überhang an Fussballsendungen gegenüber anderen Nachrichten
nicht länger mit meinen Gebühren unterstützen,
Ich bin der Meinung, dass die Rundfunkräte ihrer Aufgabe nicht in der
vorgeschriebenen Weise nachkommen, nämlich den Bildungsauftrag und die
gesetzlich normierten Programmgrundsätze durchzusetzen.
Ich bezweifele, dass die Rundfunkräte die "gesellschaftlich relevanten"
Gruppen repräsentieren.
Ich habe den Eindruck, dass die meisten Gremien direkt oder verkappt
lediglich die jeweiligen Parteienverhältnisse repräsentieren.

Schon 2005 überschritten die Programme zu Papsttod, Papstbegräbnis,
Papstwahl, Papstjugend gewaltig die Toleranzgrenze vieler Zuschauer und
Zuschauerinnen, die dadurch auf andere Programme verzichten mussten und
vergeblich danach fragten, wie diese kompakte Sendefülle über den alten und
den neuen Papst nicht nur mit dem Grundsatz der Trennung von Staat und
Kirche sondern auch mit dem öffentlich-rechtlichen Programmauftrag in
Vereinbarung zu bringen sei.

Noch ausdauernder als im einseitigen Normalprogramm aber besetzt schon jetzt
die kommende Fussballweltmeisterschaft alle Kanäle unter der angenommenen
und immer wieder eingebläuten Voraussetzung, dass dies alle Fernsehzuschauer
und Zuschauerinnen gleichermassen interessiere und zu interessieren habe.
Dieses Interesse teile ich definitiv nicht.

Ich habe eine einzige Untersuchung zur Fussballakzeptanz im Fernsehen im
Internet gefunden, geleitet von Prof. Dr. Markus Voeth
Lehrstuhl für Marketing an der Universität Hohenheim
Email voeth@uni-hohenheim.de
Internet: www.marketing.uni-hohenheim.de
Diese Studie kommt zu dem Schluss, dass die allgemeine Akzeptanz sehr hoch
sei und die WM 06 von allen Bürgern zu mindestens 80 % begrüsst werde, dabei
etwas mehr von Männern als von Frauen. Aus der Kurzdarstellung des Instituts
gingen nicht die Kriterien für die Untersuchung hervor.
Ich greife da lieber auf meinen eigenen grossen Bekanntenkreis zurück, der
sich sehr vielfältig zusammensetzt und einige hundert Personen
unterschiedlichster Kreise und Altersstufen umfasst. Darunter gibt es
ungefähr fünf Personen, die die WM ernstlich interessiert und die freiwillig
und gern die Spiele ansehen werden Viele andere sagen schon jetzt, dass sie
Deutschland in dieser Zeit am liebsten verlassen würden. Kaum einer teilt
die Ansicht, dass die WM unter dem Strich ein grosser Gewinn wird. Die
meisten fürchten sich davor, fürchten die verstärkten Sicherheitsmassnahmen,
die Kosten für die Allgemeinheit, die erhöhten Preise, die zu erwartenden
Randalierer und last not least die gewaltige Zunahme von Verbrechen,
besonders den illegalen Frauen - und Mädchenhandel.
(Darauf hat dankenswerter Weise schon der Deutsche Frauenrat deutlich
aufmerksam gemacht).

Mein Brief richtet sich an Sie, die Rundfunkräte, weil Sie per Satzung
eingreifen können und eingreifen müssen, um zumindest auf dem
öffentlich-rechtlichen Sektor die Anstalten zu veranlassen, für
Ausgewogenheit an Informationen zu sorgen. Sie sollen die zu erwartenden
Unannehmlichkeiten nicht noch ihrerseits anheizen. Leider ist von dieser
Arbeit der Räte in der Öffentlichkeit nichts zu bemerken. Im Gegenteil: es
gibt aus Ihren Kreisen offenbar nicht einmal Protest wenn die FIFA Ihnen
WM-Promikarten anbietet. Auch hört man im Fernsehen bemerkenswert wenig von
den Sportjournalisten, die gegen die Verquickung von Marketing und
Journalismus protestieren.

Ich kann den Leserinnen und Lesern dieses offenen Briefes nur empfehlen,
sich die Besetzung dieser Gremien in den einzelnen Bundesländern noch einmal
genauer anzusehen ( und Publizistikstudenten auf ergiebige Diplomthemen
aufmerksam machen). Jeder Sender oder jede Sendegemeinschaft hat einen
eigenen Rundfunkrat, besetzt mit zwischen 30 und 60 Personen. Diese Personen
sollen laut Satzung gesellschaftlich relevante Organisationen vertreten.
Schaut man sich die Mitgliederlisten an, sieht man immer wieder dieselben,
entweder direkt oder verkleidet: Immer bilden Vertreter der grösseren
Parteien bzw. den Parteien nahe stehende Personen die Hauptgruppe. Immer
gibt es Vertreter der christlichen und jüdischen Konfessionen, oft auch
ihrer Unterorganisationen. .Dagegen gibt es soweit ich sehen konnte, keine
Vertreter anderer Weltanschauungen oder, was nun tatsächlich im zunehmend
säkularen Deutschland relevant wäre, Vertreter der organisierten
Konfessionslosen.
Bis auf den NDR-Rundfunkrat, der mehr Frauen als Männer hat, sind Frauen
normalerweise in der starken Minderheit. In Bayern sind von 47 Mitgliedern 9
Frauen, wobei 5 dieser Frauen die kath. Frauenorganisationen, die
evangelischen Frauenorganisationen, den bayrischen Jugendring, den
bayrischen Landessportverband und die bayrischen Familienverbände vertreten.
Dann gibt es dort natürlich noch zusätzlich die Vertreter der ev. und kath.
Kirchen sowie als Kuriosität allein 9 Mitglieder, alles Männer, die für die
CSU den bayrischen Landtag vertreten und als 10. Vorsitzenden und Vertreter
der Landesregierung, Herrn Beckstein haben. Sie haben dort noch 2 SPD-Männer
und eine grüne Frau zugelassen, aber z.B. niemanden aus der FDP. In manchen
Rundfunkräten gibt es Vertreter von Ausländern, in anderen nicht, (was
vielleicht erklärt, dass es immer noch keine türkischen Untertitel oder
voice over bei den Nachrichten gibt ). Erstaunlich gut sind die Musiker
vertreten, fast überall sogar, hin und wieder die Theater, in Bremen sogar
das Kommunale Kino oder die Gesellschaft zur Förderung der polnischen
Kultur. Kratzt man ein bisschen daran, kommt vermutlich auch dort nur wieder
SPD heraus. Leider glauben viele Menschen tatsächlich, es hier mit
demokratischen Gremien zu tun zu haben.

Um den vornehmlich männlichen Rundfunkräten, Intendanten, Berichterstattern,
Werbeleuten usw. einmal vor Augen zu führen, wie das Fernsehprogramm auf
mich und viele meiner Freunde wirkt, möchte ich Sie bitten, sich mal
vorzustellen, SIE SELBER würden an jedem Wochenende, an dem Sie vielleicht
mal frei haben oder krank sind und sich mal was Nettes ansehen möchten, nur
Strickwettbewerbe auf allen Kanälen finden. Sie könnten herum zappen soviel
Sie wollen, Sie werden doch immer nur wieder und wieder und wieder auf
strickende Frauen schalten, angefangen mit dem Frühstücksfernsehen, nach
jeder Nachricht, d.h. alle halbe Stunde irgendwo im öffentlich rechtlichen
Fernsehen oder Radio, würden SIE über die neuesten Wettbewerbe, Muster,
Vorlagen, Finessen des Strickens informiert. (Ich bin leider überzeugt, dass
man auch das zu einem Quotenerfolg führen könnte, wenn man es nur
durchhielte - siehe Lindenstrasse. Aber das nebenbei). Ständig würden SIE
von Moderatoren angegrinst und persönlich angesprochen, weil SIE ja nun die
Schönste Sache der Welt sähen, das neueste Zopfmuster, Norweger oder
Fantasy-Muster. Das, meine Damen und Herren Rundfunkräte, wäre das NORMALE,
das NORMALE Programm. Wehe, es kommt die Strickweltmeistertschaft. Dann gäbe
es praktisch nichts Anderes mehr. Sie stiegen in Hannover aus dem Zug und
sähen auf einer Säule mit Display: "Noch xy TAGE bis zum Beginn der
Strick-Weltmeisterschaft". Sie lesen eine x-beliebige Zeitung und eine
strickende Frau, vielleicht heisst sie Frau Beckenmauer, erzählt Ihnen
rücksichtsvoll, dass sie im Jahr der Strickweltmeisterschaft dem Land nicht
noch ihre dritte oder vierte Hochzeit zumuten könne und deshalb wohl erst
später erneut heiraten werde.
Sie würden in Sondersendungen darüber informiert, für wie viel Millionen
eine Strickerin das Land wechselt wegen ihres exorbitanten Musters.
Schriftstellerinnen würden über ihre Strickerfahungen sprechen - überall.
Überall.
Pfarrer installierten Fernsehapparate in den Kirchen, - um das
"Gemeinschaftsgefühl durch gemeinsames Strickengucken" zu steigern.
Das Stricken wäre nur unterbrochen dann und wann durch Häkeln. Auch da gebe
es Wettbewerbe, so wie Fussball ja auch unterbrochen ist durch Formel eins
und deren wechselnde Chauffeure (was junge Männer anregt, sich mit ihrem
ersten Auto bald um Bäume zu wickeln).

Ich höre Sie sagen, dass doch auch die Fussballerinnen inzwischen berühmt
seien und auch Frauen vom Fussballfieber ergriffen. Frauen können dasselbe,
das ist doch sowieso klar. Sie müssen aber nicht dasselbe machen.
Interessanterweise zeigen die Fernsehanstalten die Fussballerinnen nicht
ebenso häufig wie die Männer, obwohl doch die Frauen Weltmeisterinnen sind.
Der beste Beweis dafür, dass die meisten Frauen den fussballspielenden
Geschlechtsgenossinnen zwar ihre Siege von Herzen gönnen, aber sie nicht
ununterbrochen sehen wollen, ist die Tatsache, dass sie im Fernsehen kaum zu
sehen sind. Sie bringen keine Quote - es sei denn sie gewissen gerade die
Weltmeisterschaft. Frauen haben normalerweise auch noch andere Interessen.
Männer interessieren sich nicht für Frauenfusssball und darum sieht man
keinen Frauenfussball.

Und, weil ich schon dabei bin, möchte ich auch über die Vergangenheit und zu
dem sogenannten "Wunder von Bern 1954", von dem so getan wird, als würde
jede und jeder Deutsche entsprechenden Alters sich daran erinnern, ein Wort
sagen. Dem muss ich ebenfalls widersprechen. Ich erinnere mich sehr gut an
die Olympiade 1952, die ich am Radio verfolgte. Ich erinnere mich sehr gut
an die Rede der als "Friedensengel" diffamierten Frau, die das offizielle
Mikrofon ergriff und etwas vom Handeln für den Weltfrieden ins Mikrofon
schrie, bevor sie abgeführt wurde.
Ich erinnere mich auch sehr gut an den Aufstand am 17.Juni 1953, über den
ich alles mögliche zusammentrug.
Ich erinnere mich aber überhaupt nicht an die so berühmte
Fussballweltmeisterschaft 1954, die uns angeblich unser Nationalgefühl
zurückgegeben hat. Das ist mir in Remscheid, wo ich damals lebte, offenbar
vollkommen entgangen, oder besser, vermutlich habe ich es damals gehört, es
ist mir aber nicht in Erinnerung geblieben, obwohl ich in einem Sportverband
war und mindestens 2 x wöchentlich trainierte.

Darum: Hören SIE auf, IHRE Vorlieben auch für die meinen zu halten.
Machen Sie eine, zwei Stunden wöchentlich für Ihren Fussball frei in den
öfffentlich-rechtlichen Anstalten, nehmen Sie die Informationen über den
Fussball aus den täglichen Nachrichten, informieren Sie statt dessen über
den Frauen-und Mädchenhandel im Zusammenhang mit der WM und unterstützen Sie
den Breitensport .
Alle anderen aber sollten sich fragen, ob Ihrer Meinung nach die jetzigen
Rundfunkräte wirklich mit den "gesellschaftlich relevanten Vertretern
relevanter Organisationen " besetzt sind und das evtl. ändern.

*)Der Brief kann weitergegeben und vervielfältigt und um weitere relevant
erscheinende Gruppen ergänzt werden.
.
**) Kopien u.a. an:

ARD-Pressestelle (BR)
Tagesschau
ZDF HEUTE
Deutscher Journalistinnenbund
Deutscher Juristinnenbund e.V.
Bundesgeschäftsstelle des Deutschen LandFrauenverbandes (dlv)
Deutscher Frauenrat
Ibka Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten e. V.
VAMV Landesverband Berlin e.V.
AG Dok.
Feminale eV.
Bildwechsel Hamburg